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Psychisch wirksame Arbeitsbelastung
Gefährdungsbeurteilungen aus Arbeitgebersicht

Auf Seite 9 der Position der Arbeitgeber zur Bedeutung psychischer Belastungen bei der Arbeit (2005, ISBN 3-938349-05-0) schreibt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) zur Gefährdungsbeurteilung:

"Die Gewerkschaften gehen davon aus, dass psychische Belastungen grundsätzlich Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz sind. Beim Fehlen besonderer Anhaltspunkte, kann aus Sicht der BDA jedoch davon ausgegangen werden, dass keine Gesundheitsgefährdungen durch psychische Belastungen bestehen. Dies gilt uneingeschränkt auch für die Bildschirmarbeitsplätze.
      Im übrigen kennen die Führungskräfte, Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner aus ihrer täglichen Arbeit die kritischen Punkte in den betrieblichen Arbeitsabläufen. Eine darüber hinaus gehende Berücksichtigung psychischer Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ist deshalb in der Regel nicht erforderlich.
      Wird von Seiten des Betriebsrates gefordert, dass psychische Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln sind, ist zunächst zu prüfen, ob tatsächlich Anhaltspunkte für eine Gefährdung durch psychische Belastungen an spezifischen Arbeitsplätzen vorliegen.
      Im übertragenen Sinne wird bei einer Beurteilung der Gesundheitsgefährdungen an den Arbeitsplätzen niemand eine Lärmpegelmessung veranlassen, wenn offensichtlich kein gesundheitsgefährdender Lärm vorliegt.
      Der Arbeitgeber ist durch § 5 des Arbeitsschutzgesetzes verpflichtet, eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen durchzuführen. Dies verpflichtet ihn nicht, die Arbeitsplätze und die Arbeitsaufgaben zu "analysieren", so wie die Gewerkschaften den Inhalt interpretiert sehen möchten. Erst wenn Anhaltspunkte für ein Vorhandensein von psychischer Fehlbelastung vorliegen, ist der Arbeitgeber verpflichtet, sich dieser Gefährdung anzunehmen.
      Anhaltspunkte für das Vorliegen von Gefährdungen durch psychische Fehlbelastungen an einzelnen Arbeitsplätzen können eine Häufung von Fehlern, hohe Fehlzeiten oder eine auffällige Häufung von gesundheitlichen Beschwerden sein. Liegen solche Anhaltspunkte im Einzelfall vor, kann eine Beurteilung psychischer Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung an diesen spezifischen Arbeitsplätzen durchgeführt werden."
In der Broschüre Erfolgsfaktor Psychische Gesundheit (2005) geht die BDA auf die aus den Arbeitsschutzvorschriften resultierenden Pflichten der Arbeitgeber nicht ein. Die Vereinigung von Arbeitgebern setzt in ihrer Kommunikation zum Thema der psychisch wirksamen Arbeitsbelastung auf den Appel an die "Eigenverantwortung" des einzeln Arbeitnehmers. Bei ihm soll auch die Beweispflicht für Schädigungen durch psychische Fehlbelastungen bleiben. Daher wird versucht, die Dokumentation (z.B. Gefährdungsbeurteilung) zu schwächen. Allerdings ist nun das, was die BDA für eine Position "der Gewerkschaften" hält, inzwischen auch die Position von Richtern.

Im Gegensatz zur Auffassung der BDA aus dem Jahr 2005 gilt also, dass psychische Belastungen grundsätzlich Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) nach dem Arbeitsschutzgesetz sind. Zum Einen ergibt sich das z.B. aus Konkretisierungen des Arbeitsschutzgesetzes in der Bildschitmarbeitsverordnung und der Rechtsprechung. Zum Anderen ergibt sich das ohnehin auch logisch: Die Feststellung des des Fehlens "besonderer Anhaltspunkte" für Gesundheitsgefährdungen durch psychische Belastungen ist ja bereits eine GB. Folglich unterliegt auch diese Feststellung der Mitbestimmung. Dies gilt uneingeschränkt auch für die Bildschirmarbeitsplätze.

Führungskräfte, Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner kennen aus ihrer täglichen Arbeit die kritischen Punkte in den betrieblichen Arbeitsabläufen. Wurden sie ausreichend unterwiesen, so können sie die psychische Fehlbelastungen erkennen und im Rahmen der GB dokumentieren und gegebenenfalls Maßnahmen dagegen ergreifen. Die Kenntnisse und Erfahrungen der Beteiligten ersetzen die GB darum nicht, sondern die GB ist ein wichtiges Werkzeug, mit diesen Kenntnissen und Erfahrungen erkannte und dokumentierte Gefährdungsrisiken zu mindern oder sogar zu beseitigen. Frank Hauser (Great Place to Work® Institute Deutschland) und Friederike Pleuger (SICK AG) zufolge gehört die GB z.B. bei der SICK AG zu einem "umfassenden Konzept zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM). Als wichtigstes Instrument dient dabei die ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung zur Erfassung vor allem der psychischen Gefährdungen." (Einleitung zum Kapitel 20 im Fehlzeitenreport 2009, Springer 2009)

Es geht übrigens überhaupt nicht um die Beseitigung psychischer Belastungen. Die sind sogar zulässig, und viele Arbeitnehmer werden dafür bezahlt, dass sie mit psychischen Belastungen (EN ISO 10075: mental workload) professionell umgehen. Es geht vielmehr um die Minderung und Beseitigung von Fehlbelastungen.

Wird von Seiten des Betriebsrates eines Unternehmens gefordert, dass psychische Belastungen im Rahmen der GB zu ermitteln sind, so ist dies eine Folge der Pflicht des Betriebsrates, für die Umsetzung von Schutzvorschriften in den Betrieben zu sorgen. Eine Prüfung, ob tatsächlich Anhaltspunkte für eine Gefährdung durch psychische Belastungen an spezifischen Arbeitsplätzen vorliegen, ist mitbestimmungspflichtig. Es wäre eine Behinderung der Mitbestimmung, der mitbestimmten GB eine Art "Vorprüfung" in Form einer nicht mitbestimmten GB zur Feststellung "besonderer Anhaltspunkte" voranzustellen. Ist es offensichtlich, dass keine Gefährdungsrisiken vorlegen, dann kann die mitbestimmte GB ja mit einer guten Begründung entsprechend knapp ausfallen. Es macht also keinen Sinn, vor einer GB eine GB zu verlangen.

Im übertragenen Sinne wird bei einer Beurteilung der Gesundheitsgefährdungen an den Arbeitsplätzen niemand eine Lärmpegelmessung veranlassen, wenn offensichtlich kein gesundheitsgefährdender Lärm vorliegt. Das braucht man nicht mit einer "Vor-GB" zu entscheiden, sondern der Sachverhalt wird einfach in einem Durchgang in der eigentlichen GB dadurch dokumentiert, dass Lärm nicht als Risiko erwähnt wird. Liegt dem ein mitbestimmter Beurteilungsprozess zugrunde, dann ist das auch in Ordnung.

Der Arbeitgeber ist durch § 5 des Arbeitsschutzgesetzes verpflichtet, eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen durchzuführen. Dies verpflichtet ihn also, die Arbeitsplätze und die Arbeitsaufgaben nach anerkannten und mit dem Betriebsrat vereinbarten Kriterien zu untersuchen. Diese Kriterien definieren, welche Anhaltspunkte für ein Vorhandensein von psychischer Fehlbelastung vorliegen können.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Fehlbelastungen, die sich aus erkannten Gefährdung ergeben können, zu beseitigen oder zu mindern. Er hat hier (wie bei der GB) einen Gestaltungsspielraum. Betriebsräte haben die Pflicht, darauf zu achten, dass dieser Gestaltungsspielraum im Rahmen der Vorschriften bleibt. Diese Pflicht können sie nach der Gestaltung durch den Arbeitgeber im Rahmen der Mitbestimmung ausüben. Praktisch und schneller kommt man zu für einen Betrieb optimalen Ergebnissen, wenn die Arbeitnehmer schon in der Gestaltungsphase mitwirken.

Anhaltspunkte für das Vorliegen von Gefährdungen durch psychische Fehlbelastungen an einzelnen Arbeitsplätzen können eine Häufung von Fehlern, hohe Fehlzeiten oder eine auffällige Häufung von gesundheitlichen Beschwerden sein. Hier kann es sich jedoch bereits schon um Schädigungen durch Fehlbelastungen handeln. Liegen solche Anhaltspunkte im Einzelfall vor, dann sind sie Gegenstand der im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebenen Wirksamkeitskontrolle.

Bei professionellerem und weniger reaktivem Vorgehen wird jedoch nicht erst auf das Auftreten von Anhaltspunkten für vorhandene Fehlbelastungen geachtet, denn es gibt schon seit vielen Jahren Erfahrungen und wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse (Stichwort: "best practises"), wie Arbeitsbedingungen (Projekte, Prozesse usw.) von vorneherein so gestaltet werden müssen, dass sowohl Menschen wie auch ihr Geschäft nicht von Fehlbelastungen beeinträchtigt werden. Die GB ist hier nicht nur eine Instrument des Arbeitsschutzes, sondern sie dient auch der Optimierung von Geschäftsprozessen. Die Logik dazu ist einfach: Ohne die Beurteilung und transparente Darstellung von Fehlbelastungsrisiken sind Entscheidungen zu notwendigen Massnahmen nicht möglich.

 

BDA Mantra und Eigenverantwortungsrhetorik

Arbeitgeber aktuell, Januar 2011, S.14, zum Kongress Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz (2010-11-22): "Die BDA hat sich auf dem Kongress dafür starkgemacht, den begrenzten Handlungsrahmen der Unternehmen und die hohe Eigenverantwortung der Beschäftigten in künftige Überlegungen einzubeziehen."
     Es ist wichtig, hier die Kommunikationsstrategie der Arbeitgebervereinigung zu verstehen. Wieder werden die drei Punkte betont, auf die die Arbeitgeber den Blick der Öffentlichkeit vorwiegend gerichtet sehen möchten: (1) individuelle psychische Erkrankung, (2) begrenzter Handlungsrahmen der Arbeitgeber und (3) hohe Eigenverantwortung der Beschäftigten. Weniger Aufmerksamkeit wünscht sich die Arbeitgebervereinigung für (1) psychische Fehlbelastungen verursachende Arbeitsbedingungen, (2) die Pflichten der Arbeitgeber zur Umsetzung der Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes und (3) die Verantwortung der Arbeitgeber für gesunde Arbeitsplätze. Dem Arbeitsschutzgesetz zufolge haben die Arbeitgeber Fehlbelastungen aber an der Quelle zu beseitigen. Der Arbeitsplatz ist die Quelle, nicht der Mitarbeiter. Anstelle den Gaul von hinten aufzuzäumen, sollte sich die BDA also zunächst dafür starkmachen, dass ihre Mitglieder weinigstens in ihrem begrenzten Handlungsrahmen
die Vorgaben des ganzheitlichen Arbeitsschutzes umsetzen, bevor sie Eigenverantwortung von Anderen einfordert.  
 

 
 
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Götz Kluge, 2011-02-17
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